Vom Dorn im Schuh zu Pfahl im Fleische: Wie die Letzte Generation die Welt rettet

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In einem Akt der demokratischen Selbstermächtigung verkündete die "Letzte Generation" im Sommer 2021 vor dem Reichstag ihre Kriegserklärung an die klimakatastrophenleugnende Mehrheitsgesellschaft.

Sie kamen nach Attac und Occupy Wall Street, nach Extinction Rebellion und Frioday for Future, doch die Mission der Klimaschutz-Bewegung "Letzte Generation" ist dieselbe und in all ihrer von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnten Radikalität radikal richtig. Nur stabiler Protest gegen die Verhältnisse, wie sie heute sind, gegen Wohlstand, bequemem Eingerichtetsein im Konsumismus und spätrömischer Dekadenz können  die Menschheit vor dem klimabedingten Untergang retten.

PPQ-Kommunistin Svenja Prantl stellt sich in ihrer neuen Kolumne in aller Unbedingtheit hinter die deutschen Aktivist:Innen, die mit ihren einsamen Aktionen auf deutschen Straßen, in Konzertsälen und auf Flughäfen ein globales Zeichen für die Erhaltung einer Art setzen, die sich als Bedrohung für die Erde herausgestellt hat.

Ohne Rücksicht auf die empfindliche Haut der Handinnenflächen kleben sich an den Asphalt, auf Rollfelder und an Bilderrahmen, stets darauf bedacht, die Wirkmechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie auf optimale Weise zu nutzten. Die "Letzte Generation" lebt in der festen Überzeugung, dass die Welt vor dem Ende steht, dass nur extreme Maßnahmen des umgehenden Rückbaus von Wohlstand und Technisierung erreichen können, das Überleben der Menschheit zu retten. Sie selbst, wie alle Generationen zuvor,  halten sich für auserwählt, dem Untergang beizuwohnen. Und für berufen, mit allen nur denkbaren Waffen aufzustehen, um ihn zu verhindern.  

Beim schlechten Gewissen gepackt

Die Erfolge, die diese ganz, ganz kleine Gruppe aus zumeist hauptberuflich tätigen Weltenrettern zu verzeichnen hat, ist ermutigend. Beim schlechten Gewissen gepackt, erregt sich die gesamte Politik- und Medienrepublik einerseits über die Arbeit der Aktivistenden. Auf der anderen Seite aber über die Erregung über diese Arbeit. Angesichts der Bedrohung, die Deutschland mehr als jedem anderen Land auf der Welt aus dem Klimawandel erwachse, sei jede Art von Widerstand "angemessen" (FR), urteilt die eine Seite. Die spektakulären Aktionen knapp unterhalb der Schwelle offener Angriffe auf die Verfassungsordnung, zumeist in keiner logischen Verbindung zum Klima stehend, zerstörten den gesellschaftlichen Rückhalt, den die ehrgeizigen Green-Deal-Programme der EU genössen, wettert die erzkonservative Gegenseite.

Es ist diese Art der liberalistischen Verleugnung des Offensichtlichen, die die "Letzte Generation" erst notwendig gemacht hat. Ohne Blockaden von Autobahnen und Straßenkreuzungen, ohne das mutige Vordringen in die geschützten Bereiche von Flughäfen, an Druckstationen von Ölpipelines und - später - in die Leitwarten von Kernkraftwerken ist eine ernsthafte Erörterung der Klimaproblematik auch in dem Land, das weltweit die meisten Klimanotstandsgebiete zu beklagen hat, nicht denkbar. So fehlt es an der zwar auch immer noch. Doch immerhin hat die sogenannte "Bindendiskussion" um den müden, traurigen Auftritt der deutschen Auswahl in Katar Begleitung durch eine leidenschaftliche Debatte um die ultimativen Forderungen einer demokratisch aus eigener Entschlossenheit legitimierten Gruppe von Glaubenskriegern bekommen.

Die Wut der bürgerlichen Gesellschaft

Die Wut der bürgerlichen Gesellschaft, die in Angst vor Geldentwertung, Energieausstieg und Wohlstandsverlust lebt, sie entlädt sich über den Aktivist:innen, die bisher zumindest noch niemanden verletzt und nachweislich auch niemanden getötet haben. Maßlos wird sich erregt über die kleinen, klugen, weil quasi chirurgischen Eingriffe in die kritische Infrastruktur, die aufdecken, wie verletzlich das Land erst sein wird, verpasst die Menschheit ihr 1,5-Grad-Ziel. Wenn heute schon mehrere Menschen in Signalwesten ohne Probleme auf ein stark gesichertes Flughafengelände gelangen können, wie leicht wird das den Millionen und Abermillionen fallen, die in Bälde vor den Folgen der Klimaerhitzung fliehen müssen?

Niemand wird sie aufhalten können, wenn sie kommen, um zu gehen. Niemandem wird es noch mit halbgaren Ablenkungsmanövern gelingen, die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung als ausreichend für eine Rettung der Welt und damit der Menschheit auszugeben. Das Argument, mit ihren Aktionen erweise sich die Gruppe einen Bärendienst, weil diese die gesellschaftliche Akzeptanz für die Klimapolitik zerstörten, wird nicht besser, nur weil es immer wieder genannt wird: So lange die wohlsituierten Bürger:Inninnen bis in die Volvo-Viertel des Bionade-Adels hinein nicht einsehen, dass der Kampf gegen den Klimawandel keine Parole ist, der man sich verbal anschließt, sondern eine Forderung an jede/n/s Einzelne/n zu Verzicht, Entsagung und Hinwendung zu einem kargen Leben, muss das Drängen der Vorkämpfer einer neuen Klimawelt weitergehen und immer weiter gehen.

Opferreicher Kampf

Das ist doch alles kein Spaß. Heute schon ist es oft wärmer, das Wetter spielt verrückt, der Klimazusammenbruch fordert Opfer von Tuvalu bis Tangerhütte. Die rein symbolische Klimaschutzpolitik der Ampel-Regierung, die aus knieweicher Angst vor "Volksaufständen" (Annalena Baerbock) weiter auf fossile Vernichtungsenergie wie Kohle, Gas, Öl und Kernkraft setzt, hat ihren Namen so wenig verdient wie der "Green Deal" der EU, der nur maskieren soll, wie wenig die Brüsseler Kommission die Situation verstanden hat.

Es geht dem Ende entgegen. In dieser Lage die Energiekrise gegen die Klimaapokalypse auszuspielen, weil man ja den Menschen ausreichend Strom und warme Wohnungen garantieren müsse, ist fahrlässig. Niemand muss. Denn immer noch sind die Gesellschaften des Westens mit der deutschen Demokratie vornweg freie Gemeinschaften, die sich, und so fordern es ja die Klimakrieger zurecht, sofort entscheiden können, das 9-Euro-Ticket wiedereinzuführen, ein Tempolimit und fahrende Klimaschnellgerichte, die überall dort eingreifen, wo Uneinsichtige und Ewiggestrige den Aufbruch in einen nachhaltigen Wandel hin zu immer mehr Weniger bremsen. 

Scharfe Geschütze

Die Zielrichtung stimmt, die Geschütze, mit denen die Letzte Generation schießt, sie sind scharf geladen. Je mehr gestritten wird über den Protest der "Letzten Generation", umso deutlicher zeigt sich, wo die Bruchlinien in der Gesellschaft verlaufen: Hier die Aktivist:innen, die dem Rechtsstaat seine Grenzen aufzeigen, indem sie sie mit Ankündigung übertreten und Konsequenzen höhnisch als hinnehmbar verlachen, weil sie wissen, dass die Alternative dazu das Sterben von Milliarden ist. Und dort die Kleingeister, die auf historische Parallelen verweisen, als aus der legitimen Gewalt gegen Sachen anderer binnen von nur zwei Jahren blutiger Ernst wurde.

Wie wichtig aber können rechtliche Grenzen noch sein, wenn alles auf dem Spiel steht? Wie sehr muss ein Mensch, der in akuter Angst um das Überleben einer unabsehbaren Zahl von nachfolgenden Generationen ist, sich nach nach Regeln richten, die in Friedenszeiten verabschiedet wurden? Von Politikenden, die noch nichts wussten von Pariser Klimazielen, der Lage in Konstanz und dem Rückzug des skandinavischen Inlandseises im Quartär?

Alle Zeichen auf Sturm

Ist nicht der Protest, der sich gegen die Leugner und Verharmloser der Klimakatastrophe richtet, letztlich ein Akt von Notwehr, der nicht nur gewaltfreie, sondern selbst gewalttätige Gegenwehr legitimiert? So lange niemand zu Schaden kommt, oder doch weniger Menschen als durch die Klimakatastrophe zu Schaden zu kommen drohen, geht die Rechnung der Letzten Generation auf. Gefährliche Eingriffe in den Flugverkehr, Angriffe auf die kritische Infrastruktur, auf politische Parteien und ihre demokratisch gewählten Vertreter, auf Museen, Konzertsäle und Immobilien, die Hausfriedensbrüche, Sachbeschädigung, Aufrufe zu Hetze und Hass gegen Andersdenkende - alles das ist erlaubt, weil es das Richtige ist.

Doch das scheinen sich viele Menschen immer noch nicht bewusst zu machen oder einzugestehen.

Nur allzugern fallen sie auf durchsichtige Parolen herein, wonach es nur einer Umstellung auf Elektrizität und Wasserstoff bedürfe, damit die Klimavernichtung wie gehabt weitergehen könne. Das aber ist schon rein rechnerisch nicht möglich, weil physikalische Gesetze dem Wunsch der Uneinsichtigen, es möge alles bleiben, wie es war, enge Grenzen setzt. 

Die Letzte Generation gesteht sich das ein, sie legt den Finger in die Wunde und verursacht damit Aufregung bei denen, die nicht wahrhaben wollen, dass es die Normalität früherer Jahrzehnte nie mehr geben wird. Schon diese Mitteilung, ausgerufen mit schriller Stimme am Straßenrand oder von der Bühne der Elbphilharmonie, schreckt auf, vergegenwärtigt vielen die angespannte Lage und weckt Furcht vor Wohlstandverlust, Hunger, Kälte und Stromausfällen. Das "neue Normal" (Stern), das von seinen Feinden mit Gepoche auf vermeintliche "Freiheitsrechte" und "Grundwerte" erbittert bekämpft wird. Dahinter stecken oft genug Menschen, die insgeheim ein schlechtes Gewissen haben, weil sie zu viel zu viel essen, Auto zu fahren, fliegen oder "reisen" (Bundespresseamt) oder sich politisch auf der falschen Seite engagieren. 

Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Letzte Generation, gespeist aus einer Alterskohorte, die gerade nicht für ihren langen Atem bekannt ist, bleibt gefordert, dranzubleiben, nicht aufzugeben, sich weiter zu radikalisieren und vom störenden Dorn im Schuh zu Pfahl im Fleische der Klimavernichter zu werden. Dann wird die Bewegung siegen, nicht weil sie kann, sondern weil sie muss.



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3 comments
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Das traurige ist ja, das die Typen eigentlich recht haben. Zwar sind die Klebeaktionen und ähnliches bestenfalls dusselig, wenn nicht sogar kontraproduktiv, aber die Motive dahinter sind unstrittig.
Denn objektiv betrachtet passiert doch so gut wie nichts was die - ich sags mal zusammenfassend - Konsumproblematik auch nur ansatzweise lösen kann. Da macht man eine CO² Steuer, verbietet Plastikstrohhalme und sponsert 3 t schwere Elektro SUVs - aber das System an sich wird nicht verändert. Denn das würde ja Arbeitsplätze gefährden, das geht mal ja gar nicht. Hinzu kommen dann noch mit schöner Regelmäßigkeit mentale Tiefflieger wie Trump oder Bolsonaro an die Macht.
Übrigens, besonders wir Deutschen sollten um die Vermeidung von Umweltschäden bemüht sein. Nicht weil wir besonders unter den Auswirkungen zu leiden haben, sondern weil alle auf der Welt von uns erwarten das wir alles bezahlen.
Deshalb, der Ärger über die Situation ist schon gerechtfertigt, nur die Mittel diesen zum Ausdruck zu bringen lassen zu wünschen übrig.

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Solange der Staat ganze Dörfer zum "Wohl der Allgemeinheit" zerstört habe ich kein Problem mit "zivilem Ungehorsam".
Ich fände es allerdings besser, wenn die "letzte Generation" sich auf die größten Übeltäter konzentrieren würde. Das würde ihre Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen.

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