Die ungewöhnliche Geschichte eines modernen Barden
Foto von Rollingstone Magazin
Ich war mit Freunden in der Stadt unterwegs, und wartete auf einen Musikerkollegen. Da es draußen herbstlich kalt war schlüpften wir in einen Plattenladen nahebei. Eigentlich wollten wir nur im Warmen ein wenig warten um dann zur Probe gehen, aber zum Zeitvertreib stöberte ich trotzdem durch die Plattenkisten. Beim Durchwühlen stach ein Albumcover hervor. Als ehemaliger DJ entwickelte ich ein Gespür für gute Scheiben. Ich konnte „fühlen“ wenn etwas Gutes auf einer Scheibe zu finden war. Und bei diesem Album kribbelte es in den Fingern. Es war ein Künstler namens Jeff Buckley, und das Album hieß „Grace“. Obwohl sein Foto auf dem Album einen Schönling darstellte, und ich zu der Zeit wenig für kitschigen Pop übrig hatte, folgte ich dem Gefühl.
Daheim angekommen legte ich die Scheibe gleich auf … und war enttäuscht. Bis auf ein Lied – Grace – war alles recht komisch. „Grace“ war wenigsten fetzig. Tja, mein Gefühl hatte mich wohl getäuscht, und zwanzig Mark waren weg. Verdammt.
Die Wochen vergingen und eines Abends legte ich die Scheibe wieder auf. Vielleicht findet sich doch etwas Gutes? Und so glitt die Nadel geduldig durch die Rillen, ein Lied nach dem anderen abspielend, bis dann etwas geschah. Ich hörte zum ersten Mal der Stimme wirklich zu. Meine Vorurteile hatten es bisher verhindert. Aber diese Stimme hatte etwas. Etwas ganz besonderes! Und das Lied „So real“ war ungewöhnlich. Es fuhr mir durch Mark und Bein.
Meine Ohren waren geöffnet und eine neue Welt tat sich auf. Was für ein fabelhafter Sänger, was für eine Musik! Wer war der Kerl?
Damals hatte ich kein Internet, und die Details erfuhr ich durch Zeitschriften und Fernsehberichte. Und seine Geschichte hatte etwas so mystisches wie seine Stimme.
Er war der verlassene Sohn eines berühmten Sängers, der als Frauenschwarm mit toller Stimme in den 60ern Wellen schlug: Tim Buckley. Aber er kannte seinen Vater nicht, sondern hatte nur eine Begegnung mit acht Jahren. Denn er verließ ihn schon vor seiner Geburt. Diesen Schmerz trug sein Sohn immer in sich, gerade weil ein knappes Jahr nach ihrem ersten Treffen, der Vater an einer Überdosis Heroin verstarb. Er hinterließ eine Leere, die Jeff, sein Sohn, in seiner Musik verarbeitete.
In den Neunzigern gab es ein Tributkonzert für den verstorbenen Tim Buckley, auf der Jeff unbedingt drei Lieder beisteuern wollte. Die Produzenten und Veranstalter waren zuerst skeptisch, da sie ihn nicht kannten, und ihn nur für einen jungen Schönling hielten. Aber sie gaben ihm den Auftritt. Wäre ja vielleicht ein schöner Touch, wenn sie seinen Sprössling ein wenig rumhüpfen lassen. Doch als er auf der Bühne stand blies er sie um. Nicht nur sah er besser aus als sein Vater, sondern er war sogar um vieles talentierter! Sony sprang gleich auf und engagierte dieses unbekannte Phänomen. Zu Beginn heuerten sie die besten Sessionmusiker der Szene an und buchten Proben. Doch Jeff war nicht zufrieden. Die Musiker waren zwar alle brilliant, aber zu geschliffen. Letztendlich suchte er in der Musikszene nach Musikern, die seinem Geschmack entsprachen … und er tat gut daran. Es entstand das fabelhafte Debütalbum „Grace“, welches die Welt im Sturm eroberte. Noch heute zählt Jeff Buckley als Idol und Inspiration für unzählige Musiker weltweit. Nicht nur wegen seiner Stimme, die mehrere Oktaven umfasste, sondern speziell auch für seinen musikalischen Ausdruck, der wahrlich eine magisch-mystische Qualität besaß, die nur selten zu finden ist.
Er tourte mit seiner Band durch die Clubs, Stadien und Fernsehsender, und ein zweites Album war schon am entstehen. Alle feierten ihn, und eine große Karriere war sicher. Doch sollte es nicht mehr dazu kommen. Es war ein Schock als die Nachricht um die Welt ging, das Jeff Buckley ertrunken sei. Sein Tod war keinem Exzess geschuldet, da seine Obduktion weder Alkohol, noch Drogen aufwies, sondern es war ein unglücklicher Unfall, als der Sog eines vorbei rasenden Bootes ihn unter Wasser zog.
Es war als ob seine Geschichte die Erfüllung seines Vaters' Erbe war. Jeff Buckley kam, sang sich in die Herzen von Millionen, und hinterließ ein Album als sein Testament. Etwas, was sein Vater nicht zu Ende bringen konnte. Dann ging er weg. Vor allem ein Lied hat sich in die Musikgeschichte geschrieben, welches sogar zum besten Lied aller Zeiten gewählt wurde. So oft ich dieses Lied anderen vorspiele; jeder spürt diese Magie.
Aber der Grund wieso er mir heute einfiel ist ein Live-Auftritt im Fernsehen, welches seine Qualitäten noch mehr hervorhebt, als seine Studioalben. Und das wollte ich eigentlich mit euch teilen. Die schiere Intensität verursacht mir Gänsehaut. Und dieser Auftritt erinnert daran, das Musik nicht ein Konsumprodukt ist, sondern eine Kunst, die uns über das Profane herausheben kann.
Ich hoffe ihr habt Spaß beim Zuhören (sofern ihr mit der Musik etwas anfangen könnt 😉)