Kinderradio Knirpsenstadt: Eine Reise in die Fantasiewelt der deutschen Medien
Der junge Maler Kümram hat sich bemüht, die naive Sichtweise kindlicher Augen auf die Wirklichkeit in diesem Gemälde darzustellen. Abb: Kümram, Wasserfarbe auf liniertem Papier |
Wer mit der Wahrheit lügen will, mit reinen, puren, ungeschminkten Fakten Meinung machen und dabei nicht erwischt werden, dem rät das Lehrbuch des klassischen Demagogiefaches "Lügen mit der Wahrheit" Zahlen ohne jeden Bezug zu präsentieren, den Kontext von Nachrichten wegzulassen, in Grafiken zeichnerisch Wertungen zu setzen, die mit den abgebildeten Werten nichts zu tun haben, oder Ereignisse nach der sogenannten Drehrumbum-Regel rück- oder seitwärts zu erzählen. Schuldige können damit im Handumdrehen zu Opfern, Verantwortliche vergessen und Punkte auf der richtigen Seite der Anzeigetafel gemacht werden.
Kolumnistin Svenja Prantl betrachtet mit Sorge, wie wenig sich ARD und ZDF offenbar noch um den Ruf der Bundesregierung sorgen. Gehen die Sender wegen der ausbleibenden Gebührenerhöhung von der Fahne?
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Svenja Prantl macht sich Sorgen. |
Forscher, Forscherinnen und Forschende vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sind dem nun nachgegangen. Und sie haben tatsächlich neue Tatsachen zutage gefördert: Danach haben die beiden Gemeinsinnsender, denen oft eine "fehlende Perspektivenvielfalt und eine einseitige Berichterstattung in ihren Nachrichtenformaten" (T-Online) vorgeworfen wird, zwar "durchaus an der einen oder anderen Stelle Raum für eine Stärkung konservativer und marktliberaler Positionen". Aber insgesamt schafften sie es, ihre politische Schlagseite so gut zu kaschieren, dass sie selbst für die Wissenschaftlernden der Uni Mainz nicht zu entdecken war.
Ehec-Tote und Makarow-Gewehr
Zumindest "im Vergleich zu anderen Nachrichtenmedien", wie der Mitgeforschthabende Marcus Maurer einräumt. Deren Schaffen speist sich im modernen Mediendeutschland zu etwa 68,4 Prozent aus dem sogenannten "DPA-Newskanal", einem Serviceangebot der Nachrichtenagentur DPA, die damit bereits vielfach Geschichte geschrieben hat.
Von den "Ehec-Toten, die nie mehr gesund werden", bis zum berühmten "Makarow-Gewehr", das in Russland nie gebaut wurde, in Deutschland aber geschossen hat, verdankten zahllose unvergessliche Medienmärchen ihren bundesweiten Erfolg diesem Verbreitungsweg. Gemessen daran zeigt die Studie "Fehlt da was? Perspektivenvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformaten" nun ein eindeutiges Ergebnis: Nein, auch diese tollen Lesestücke vermögen nicht aufzuwiegen, was ARD und ZDF an originärem Material bieten.
Besser als medienkapitalistische Heuschrecken
Das Urteil ist endgültig. Zusammen mit seinen Kollegen untersuchte Maurer im Zeitraum von April bis Juni 2023 für die Studie Nachrichten von insgesamt neun öffentlich-rechtlichen Fernseh-, Hörfunk- und Online-Formaten. 38 sogenannte "medienkapitalistische Heuschrecken" (ARD-Framing-Manual) dienten als Vergleich. Nach "fast 10.000 Nachrichtenbeiträgen" stand fest: In acht von neun untersuchten öffentlich-rechtlichen Formaten und in allen untersuchten Heuschrecken-Kanälen wurden linke wie rechte Parteien überwiegend negativ dargestellt.
Redaktionen weigern sich, gute Leistungen anzuerkennen, große Erfolge zu würdigen und Wählerinnen und Wählern reinen wein darüber einzuschenken, wie gut es ihnen immer noch geht. Stattdessen wird geschimpft und kritisiert, verflucht und kaputtgeredet. Unübersehbar sei ein "Fokus auf negative Informationen" sowohl im Gemeinsinnfunk als auch im profitorientierten privaten Medienbereich. Der Experte sieht hier eine Überbetonung der Kontrollfunktion, die sich Medien gern selbst zuschreiben. "Wenn sie ihre Berichterstattung auf Probleme beschränken, ohne über Lösungen zu berichten, kann das selbst zum Problem werden", warnt er.
Vertrauensverfall als Folge
Die Folgen sind überall zu besichtigen. Weil ARD und ZDF, zusammen das reichweiten- und umsatzstärkste Medienimperium Deutschlands, trotz ihrer grundgesetzlichen Aufgabe nur ein ganz klein wenig "ausgewogener als die privaten Medien" und "weniger negativ über die aktuellen Regierungsparteien" berichten, sinkt das Vertrauen in die etablierten Parteien.
Rattenfänger feiern fröhliche Urständ, die Demokratie ist bedroht und das neugegründete Bündnis Wagenknecht (BSW) schneidet bei einer Umfrage zur sogenannten Sonntagsfrage in Sachsen nicht nur als drittstärkste Kraft ab, sondern darf sich auch darauf verlassen, dass ein ARD-Sender den vermeintlichen Erfolg brühwarm durchs ganze Land trötet.
Erfolge besser herausstellen
Dass es private, wenn auch teilstaatliche Portale sind, die in die Bresche springen und die Vielzahl der Fortschritte würdigen, die SPD, Grüne und FDP in ihrer erst seit 1998 währenden Zeit als Regierungsparteien feiern konnten, muss in Mainz, Hamburg, Berlin und Köln die Alarmsirenen schrillen lassen. Solche für die ganze Land "mit erstaunlichem Pragmatismus" (Marcel Fratzscher) erreichten "Erfolge für die Sozialpolitik" breit und unermüdlich einer breiten Masse an Volk zu vermitteln, wäre edelste Aufgabe eines Systems an Sendern, die schon gezeigt haben, wie sie Wirklichkeit zu erschaffen vermögen, störende Fakten durch "Finden" zu widerlegen wissen und selbst amtliche Daten präsentieren können, ohne dass noch irgendein Rest von Nachrichtenwert enthalten ist.
Aber was geschieht stattdessen? Geradezu wohlig suhlen sie sich sämtlichst in den kleinen Problemen der großen Führer. Es wird jeder Streit ausgewalzt, jede persönliche Auseinandersetzung kolportiert und Protokoll geführt, wo immer einer der Vordenker umfällt, um "mit Blick auf die anstehenden Wahlen" (DPA) Verantwortung auf andere abzuschieben. Eine eigene Wirklichkeit entsteht so, in der das ominöse Bündnis Wagenknecht, eine politische Formation mit weniger Mitgliedern als der Taubenzüchterverein in Köln, mehr Aufmerksamkeit bekommt als die grundgesetzwidrige AfD oder die mehrfach mit dem Grundgesetz in Konflikt geratene Ampelregierung.
Baugleich zur Wirklichkeit
Die mediale Welt ist baugleich zur Wirklichkeit, aber vollkommen anders als diese. In der Gesamtschau wirkt das Bild, das deutsche Medien von der Realität malen, wie das eines Vorschulkindes, das versucht hat, ein Haus zu zeichnen. Prinzipiell ist alles da, aber alles ist schief, krumm und dysfunktional. Betrachtete ein mit dem Leben auf der Erde und insbesondere in Deutschland als am schlimmsten betroffenen Gebiet nicht vertrauter Besucher die Situation, er könnte nicht im Ansatz verstehen, worum es eigentlich geht und weswegen.
!WITZ