Ende des Eismannes: Verdienter Ruhestand eines Revolutionärs

Im Herzen Stalinist und den Volksmassen immer als Erzieher zugetan, hat Jürgen Trittin sich doch stets dem Zeitgeist angepasst. Jetzt bricht er sein Wahlversprechen, Göttingen bis 2025 im Bundestag zu vertreten.

Bis zum Schluss blieb er ein Mann der Überzeugungen und einer der plötzlichen Überraschungen. Im Herbst 2021 ließ sich Jürgen Trittin noch einmal in den Bundestag wählen, der damals 67-Jährige machte sich Hoffnungen auf eine Rückkehr in ein Ministeramt, Rückkehr in die erste Reihe von Partei und Politik. Mehr als 40 Jahre machte der gebürtige Bremer da schon Politik. Erst bei den Kommunisten, dann, als er verstanden hatte, dass es bis zur Errichtung des Arbeiterparadieses noch etwas länger dauern wird, als Ökosozialist. Aus der "Gruppe Z", abgespaltet von der Abspaltung  Kommunistischer Bund. Später dann als einer der Köpfe des Fundi-Flügels, in dem die Linksideologen die Linksökologie zu nutzen versuchten, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. 

Steiler Weg nach oben

Im Unterschied zu vielen seiner damaligen Wegbegleiter gelang es Trittin, selbst mitzutanzen. Wie Joschka Fischer und Claudia Roth brachte ihn jede Häutung der Parteiweiter nach oben in der Nomenklatur: Trittin wurde vom Pressesprecher zum Landtagsabgeordneten, zum Landesminister, zum Chef der Bundespartei und schließlich zum Minister im Bund. 

Dort hinterließ Jürgen Trittin tiefe Spuren: Mit der nach ihm benannten Trittin-Rente machte er den Deutschen ein Generationen-Geschenk, von dem bis heute immer mehr und mehr Menschen profitieren. Zudem verhandelte er den ersten, später rückabgewickelten Atomausstieg herbei, den sich Bürgerinnen und Bürger gern eine ganze Stange Geld kosten ließen. Unvergessen ist aber vor allem der von ihm eingeleitete Energieausstieg. "Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund einen Euro im Monat kostet - so viel wie eine Kugel Eis" hatte Trittin im Juli 2004 als Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ein für allemal klargestellt. 

In der ideologischen Trutzburg

Zwölf Euro im Jahr, das werden alle schlucken, so viel wusste der Mann, der sich seinerzeit bereits seit 20 Jahren in seiner ideologischen Trutzburg eingerichtet hatte. Natürlich wusste Trittin immer, dass die Menschen da draußen Menschen wie ihn hier drinnen brauchen. Helfer, Lehrer, Erzieher, Führer. Aus den Tagen der Politschulung bei den Maoisten und Trotzkisten war hängengeblieben, dass überall die gleiche Regel gilt wie beim Bodenkehren - "wo der Besen nicht hinkommt, wird der Staub nicht von selbst verschwinden". Um ihn aber verschwinden zu lassen, muss das Volk zur Not auch mit Strenge an Manieren gewöhnt werden. Der Frosch freut sich, wenn er ins Wasser kommt. Entsprechend langsam gekocht, bleibt er glücklich bis beinahe zu seinem letzten Atemzug.

Jürgen Trittin, von seinen Gegnern spöttisch zum "Mr. Dosenpfand" gekürt, wäre nach dem erneuten Einzug der Grünen in die Bundesregierung mehr als bereit gewesen, noch einmal solche Pflöcke einzuschlagen. Er wartete auf den Anruf, doch kam nicht. Die nachgerutschte Generation der Habecks, Baerbocks und Nouripurs sortierte den verdienten Parteisoldaten aus, im Zuge der Regierungsbildung wurde der vom Habecks Vorgänger Jürgen Möllemann als "Reha-Lenin auf Staatskosten" bezeichnete 68-Jährige aufs Altenteil geschoben. Trittin musste sich nun  als Außenpolitik-Experte der grünen Bundestagsfraktion bezeichnen lassen. Für den gewieften Pianisten auf der Empörungsklaviatur wie ein Tritt in die Weichteile.

Enttäuschter Parteiklassiker

Anständigkeitshalber hat er trotzdem noch eine halbe Legislaturperiode durchgehalten. Dann erst brach Jürgen Trittin sein Wahlversprechen, für seine Wählerinnen und Wähler in Göttingen, deren Interessen er  seit einem Vierteljahrhundert in Berlin vertritt, bis zur nächsten Bundestagswahl die Stellung zu halten. Ohne es an die große Glocke der eigenen Homepage zu hängen, teilte Trittin mit, er habe seiner  "Fraktion mitgeteilt, dass ich zum neuen Jahr mein Mandat niederlege". 

Kurz und schmerzlos, mit einem Blick auf ein "politisches Leben, in dem wir vieles erreicht haben, was unmöglich schien" (Trittin). Was aber dann doch nach einem unschlagbaren Muster gelang: Mit dem "Druck aus den Bewegungen" wurde die "Gesetzlichkeit durchgesetzt", so hat es Jürgen Trittin einmal selbst beschrieben. Und mit Hilfe dieser Gesetzlichkeit wurden dann politische Visionen zur Alltagslast von Millionen.

Ein Denkmal aus Eis

Die Kugel Eis steht wie ein Denkmal am Ende der Straße, die Jürgen Trittin von der dogmatischen Sponti-Gruppe "Bewegung undogmatischer Frühling" über die Phase der klammheimlichen Freude bis hin zur missratenen Spitzenkandidatur als grüner Kanzler abgeschritten hat. Nach 25 Jahren Trittinschen Wirkens im Bundestag kostet die Kugel Eis nicht einen einen Euro im Monat, sondern 37,50, ein Grund wohl auch, warum Trittin einstiges Ministerium die freudigen Begrüßungsworte des vormaligen Ministers für die große Energiewende aus den Annalen gelöscht hat. 

Wegwischen können seine eifersüchtigen Nachfolger freilich nicht, was Jürgen Trittin geleistet hat. In nur 20 Jahren gelang in Deutschland eine glatte Verdopplung des Strompreises, auch mit Hilfe des im Vergleich zur Vor-Trittin-Zeit verdoppelten Steuer- und Abgabenanteils, den der Staat benötigt, um die Preise für Elektroenergie zu senken. 

In denselben 20 Jahren wurde das Flaschenpfand als Basis der Trittin-Rente stabil gehalten und mehr und mehr ältere Bürgerinnen und Bürger profitieren davon. Die Windenergie wurde in diesen magischen zwei Jahrzehnten des Umbaus so erfolgreich ausgebaut, dass nun eine weitere Verdreifachung in acht Jahren reichen sollen wird, das gesamte Land im Leninschen Sinne zu elektrifizieren. Und auch der Atomausstieg, das Herzenskind des "Ökostalinisten", wie er von seinen Feinden gelobt wurde, lebt zumindest bis zum nächsten Ausstieg aus dem Ausstieg weiter.



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