Bildungstrend: Führt Dürre zu Dummheit?

Unübersehbare Evidenz: In den bodentrockenen Landesteilen sind Lese- und Verständnisphobien im Deutschen bei Schülerinnen und Schülern stärker ausgeprägt.

Die Ergebnisse des alljährlichen Berichts zum sogenannten Bildungstrend waren auch diesmal wieder alarmierend, aber schlimmer noch als jemals zuvor. Jeder dritte Neuntklässler schafft es inzwischen nicht m her, wenigstens die Mindeststandards im Fach Deutsch zu erreichen. Es mangelt am mittlerweile als "Leseverständnis" bezeichneten Vermögen, geschriebene Texte zu entziffern, es fehlt aber auch "Hörverständnis", also der Fähigkeit, aus dem gesprochenen Wort Inhalte zutreffend zu entschlüsseln.

Die Wissenschaft stand vor einem Rätsel, haben sich doch die Deutsch-Leistungen der Neuntklässler erst seit 2015 so deutlich verschlechtert. Was war da geschehen? Pandemie, TikTok-Challenge, Merkel-Abschied? Dass etwa jeder Dritte scheiterte bei den deutschlandweiten Tests scheitert, die etwa einem mittleren Schulabschluss entsprechen, war zuvor noch nie da gewesen. 

Versagen jedes Fünften

Auch das Versagen eines Fünftels der Schülerinnen und Schüler im Bereich Rechtschreibung erschütterte die Mitglieder der Kultusministerkonferenz (KMK). Zwar stellte sich heraus, dass die nachwachsende Generation sich besser noch als früher auf Englisch verständigen kann. Doch der im Vergleich zur Vorgängeruntersuchung von 2015 rasante Anstieg der Probleme im Bereich Lesen und Rechtschreibung beunruhigte die Fachpolitiker, die genau wissen: So lange eine Ursache nicht nicht ermitteln ließ, so lange kann nicht Geld in die Hand genommen werden, um mit Investitionen in Bildung Reparaturarbeiten durchzuführen.

Am An-Institut für Angewandte Entropie in Frankfurt an der Oder hat auch der Medienforscher und Sprachwissenschaftler Hans Achtelbuscher dem Zusammenbruch früher landläufiger Fähigkeiten  überrascht zugeschaut. "Ein Rückgang um jeweils rund neun Prozentpunkte, im Bereich Zuhören/Hörverständnis sogar 16 Prozentpunkte", fasst er zusammen, "das ist ein Erdrutsch, der droht, schon in wenigen Jahren alles unter sich zu begraben." Menschen, die einander zwar noch zuhören, sich gegenseitig aber nicht mehr verstehen könnten, seien perspektivisch außerstande, das gewohnte gesellschaftliche Leben aufrechtzuerhalten. "Es war uns deshalb wichtig, herauszufinden, wo die Gründe dieses unverkennbaren Einbruchs bei Fertigkeiten liegen, die ehemals Grundschulbildungziel waren."

In rasendem Tempo

Ausgehend vom IQB-Bildungstrend, der auch Viertklässlern in rasendem Tempo nachlassende Fähigkeiten beim Schreiben und Rechnen bescheinigt hatte, ließen die Forschenden aus Brandenburg die Daten zur Schülerkompetenzen in Deutsch über Monate hinweg durch eine Künstliche Intelligenz auf Muster prüfen. "Uns war klar, dass es für eine Reaktion wie die bei den desaströsen Deutsch-Ergebnissen eine auslösende Aktion geben muss." 

Nichts geschehe jemals, ohne dass etwas geschehen sei, so Achtelbuscher: "Hier war die Frage nur, ob der Algorithmus ein Muster findet, das uns verrät, weshalb  Neuntklässler im Jahr 2022 deutlich besser in der Lage sind, schriftliche Texte und gesprochene Sprache in Englisch zu verstehen als 13 Jahre zuvor, weshalb sie zugleich aber kaum mehr fähig sind, sich in ihrer Muttersprache miteinander zu verständigen."

Killerspiele, Pandemie oder TikTok

Killerspiele, Netflix, Popmusik, Youtubefilme oder TikTok-Influencer? Man sei vielen Spuren nachgegangen, denn eine Experimentalthese habe anfangs darin bestanden, dass vor allem die stärkere Nutzung von digitalen Medien und Inhalten auf Englisch während der Corona-Pandemie zu dem Ergebnis beigetragen haben könnte. Plattformen wie TikTok, YouTube und Streamingdienste habe man im Verdacht gehabt, als  "außerschulische Lerngelegenheiten" genutzt worden zu sein. "Aber das hat sich letztlich nicht im Experiment nicht als haltbare Theorie herausgestellt." 

Auch die von Mitarbeitern im sächsischen Borna aufgestellte Vermutung, es könne ein loser Zusammenhang mit dem "Zustrom" (Angela Merkel) von 2015 und der nachfolgenden Jahre existieren, ließ sich natürlich nicht bestätigen. Die Neuntklässler, die im vergangenen Jahr getestet wurden, waren zum Beginn der Zustromjahre schon in der zweiten Klasse", summiert Hans Achtelbuscher. Viele hätten also schon Kenntnisse des Alphabets, zum Teil sogar in verschiedenen Sprachen, mitgebracht.

Fündig wurden die Forscherinnen und Forscher um Achtelbuscher schließlich ganz woanders. "Wir ahnten, dass die fortschreitende Klimakatastrophe als mögliche Ursache infragekam und genau das haben uns die Berechnungen schließlich bestätigt." Die Ergebnisse der KI sind eindeutig: Wo die Leistungen im Fach Deutsch "in hohem Maße besorgniserregend" ausfallen, zeigen Karten zur Bodenfeuchte ein überdurchschnittliches Fehlen von Wasser, so die Studienautoren. Die Untersuchung stellt erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern fest: Bayern und Sachsen, aber auch eigentlich permanent prekäre Bundesländern wie Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg schneiden besser ab, Nordrhein-Westfalen und das gesamte Rheinland schwächer. 

Wassermangel führt zu Verständnisproblemen

Abgesehen von einigen Ausreißern etwa im Saarland und in Berlin bestätige der Vergleich der Dürredaten mit den Ergebnissen der Lese- und Hörtests, das die Ursache für das schlechte Abschneiden vieler Schülerinnen und Schüler weder in Corona-Schutzmaßnahmen noch in der Zuwanderung fremdsprachig aufgewachsener Kinder liege. Es sei vielmehr davon auszugehen, "dass das klimabedingte Ausdörren vieler Böden, das in manchen Regionen bereits längere Zeiträume anhält, die ungünstigen Entwicklungen im Fach Deutsch in nicht unerheblichem Maße mitverursacht", heißt es in der Studie. 

Die Ausweisung der Notgebiete lasse sich aus dem aktuellen Dürremonitor direkt auf die Bildungslandschaft übertragen, so Achtelbuscher. "Wassermangel spielt eine größere Rolle als Corona-Pandemie, Migrationshintergrund

und Freizeitverhalten." Betroffen von den Auswirkungen der Dürre seien nicht nur Schüler, deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden oder die selbst im Ausland zur Welt kamen, sondern alle Jugendlichen, also auch die ohne Zuwanderungshintergrund. "Was Wasser im Boden fehle, erreichen Neuntklässler "signifikant geringere Kompetenzen", fasst Hans Achtelbuscher zusammen.

Die Ergebnisse bestätigen einen schon länger anhaltenden und viel diskutierten Trend: Mit der Zunahme der Klimakatastrophe geht es in vielerlei gesellschaftlichen Bereichen bergab, während die Endverbraucherpreise steigen. Auch die  Leistungen in Kernfächern machen da keine Ausnahme.



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